EIN BEWEGUNGSLABOR:
Der erinnernde Körper
Ausgehend von Recherchen zum Judson Dance Theater erarbeitet Daniela Georgieva ein Bewegungslabor.
In den 1960er Jahren hatten sich Akteur*innen der unterschiedlichsten Disziplinen in New York zusammengeschlossen und die bisherigen Definitionen von Tanz und Performance neu justiert und radikal erweitert.
Die zentralen Elemente des Bewegungslabors sind der Körper und seine alltäglichen Bewegungen, die als Basismaterialien jeder/m potentiellen Teilnehmer*in zur Verfügung stehen. Zum Abschluss des Projekts wird die Auswertung der Workshops als digitale Dokumentation auf dieser Website veröffentlicht und allen Interessierten zugänglich gemacht.
Mit choreographischen Bewegungsvorschlägen, die immer auf einfachsten graphischen Mustern – Gerade, Diagonale, Kreis, Kreuz o.ä. – basieren, werden die Akteur*innen angeleitet, ihr körpereigenes Archiv zu befragen und Bewegungen aus diesem heraus zu erproben. Intensive Repetition dient der Vertiefung und Verinnerlichung der Bewegungseinheiten.
Vielleicht ist ein Ausbrechen aus der geraden Linie der Moment, in dem die alltägliche Bewegung zu Tanz wird. Der sich erinnernde Körper erschafft in der Bewegung so einen Raum, der aus bewegungsinhärenten Formen und Mustern entsteht. Durch diese einfachen Mittel wird der Versuch deutlich, dass jede Bewegung aus dem körpereigenen Fundus exploriert und weiter entwickelt werden kann. Dies lässt sich auch als politische, körperliche Haltung bzw. gesellschaftliches Statement verstehen.
Text: Friederike Schuler
Kontakt: info@judsondance-rework.com
Website: www.daniela-georgieva.com
Vorüberlegungen zur Perspektive der Research
Preliminary considerations on the perspective of research
Was macht die zeichnerisch-beobachtende Begleitung der Probe sichtbar? Immerhin stelle ich mit der gezeichneten Linie etwas her, das sich extrem von der getanzten Bewegung unterscheidet: Die Linie lässt das dargestellte fester und konkreter wirken. Aber wollte man Stills und Posen festhalten, könnte man ja auch Fotos machen. Der Vorteil der Zeichnung könnte sein, dass sie durch meinen Körper, der selber das tänzerische Material, die Musik und die anderen Tänzer*innen-Körper kennt, hindurch gegangen ist. Ich versuche also ein lustvoll-affiziertes Beobachten und ein mittanzendes Zeichnen.
What does the drawing-observing accompaniment of the rehearsal make visible? After all, with the drawn line I create something that is extremely different from the danced movement: The line makes what is depicted seem more solid and concrete. But if you wanted to capture stills and poses, you could take photos. The advantage of the drawing could be that it has gone through my body, which itself knows the dance material, the music and the other dancers' bodies. So I try a lustfully-afflicted observing and a dancing drawing. I do this via screen and streaming, which adds a frame, a resolution and temporal shifts to everything that is seen.
Was wird dabei sichtbar und was nicht?
What becomes visible and what does not?
Grundsätzlich wird Zeit sichtbar. Eine Linie – z.B. die eines Oberschenkels – ist die eines Augenblicks, jede weitere Linie – z.B. des Fußes, der Wade und der HüXe – die weiterer Augenblicke. So ist ein gezeichneter Körper die Zusammensetzung verschiedener Augenblicke, Schritte und Impulse, sogar unterschiedlicher Tänzer*innen. Dabei habe ich mich bemüht so schnell wie sie zu sein und auch bei einer Person zu bleiben. Es ist aber unmöglich so schnell zu verarbeiten, was man sieht. Den zeichnerischen Prozess könnte man im Sinne so eines Verarbeitens des Gesehenen als verdichtete Rezeption, vielleicht als dokumentierte Rezeption verstehen. Dann zeigen die Zeichnungen in Grundzügen, was vielleicht immer beim Sehen von Tanz passiert: Die Überforderung beim Erfassen des Ganzen (als der Summe seiner Einzelteile) in jedem einzelnen Moment¹. Um an den Zeichnungen zu sehen, wie diese Überforderung sich (auch in der Rezeption) positiv wendet, muss man sie weniger als Analyse, vielmehr als eigenen tänzerischen Beitrag verstehen: Die Figuren sind, wie gesagt, Zusammensetzungen aus verschiedenen Spuren von Augenblicken (Spurenkonglomerate), die sich zwischen den Tänzer*innen, meinem Sehen und meiner Hand ereignet haben. In einer körperlich reduzierten, zeitlich ausschnitthaften und perspektivisch einseitigen Weise geschieht also dasselbe als wenn ich vor Ort mitgetanzt hätte: Synchronisierung und Rhythmisierung von Körpern durch Wahrnehmung.
Basically, time becomes visible. A line - e.g. that of a thigh - is that of a moment, each further line - e.g. of the foot, the calf and the hip - that of further moments. Thus a drawn body is the composition of different moments, steps and impulses, even of different dancers. At the same time I tried to be as fast as they are and also to stay with one person. But it is impossible to process what you see as fast as you see it. The drawing process - in the sense of processing what is seen - could be understood as a condensed reception, perhaps as a documented reception. Then the drawings show generally what perhaps always happens while seeing dance: The overtaxing of grasping the whole (as the sum of its individual parts) in each individual moment. In order to see in the drawings how this overchallenge turns positive (also in reception), one must understand the drawomgs less as an analysis, but rather as one's own dance contribution: The figures are, as I said, composites of various traces of moments (trace-conglomerates) that occurred between the dancers, my seeing, and my hand. In a physically reduced, temporally excerpted and perspectively one-sided way, the same thing would have happened if I had danced along in place: synchronization and rhythmization of bodies through perception.
Weitere Beobachtungen, Überlegungen
Further observations, considerations
Die Augenblicke waren ständig vom Bildschirmrahmen, Kameraperspektive, Verpixelung und stockendem Bild geprägt. Das Ganze live zu machen, würde wohl zu einem ganz anderen Ergebnis führen. Auch die Kameraposition zu wechseln würde was an den Übersetzungen ändern.
Mir fiel jetzt stark das Licht auf – das hat teilweise zu den farblichen Teilen und den Schatten geführt –: Könnte man Bewusstheit um das Licht herstellen? So wie wir es schon mit dem Raum und miteinander tun? Das Licht macht die Sache gewissermaßen schon so voll, schab wie räumliche Abstände derartige Spannungen und Energie, dass man es vielleicht anzapfen kann.
Meine Arbeit jetzt war eben wie oben beschrieben recht lustvoll-tänzerisch – man könnte, wenn du auch magst, das Ganze analytischer machen. Dann würde ich mehr mit dem Fineliner arbeiten und sprachlich-denkender Bewegungen analysieren. Zwischen diesen zwei großen Richtungen (leiblich-affiziertes Spurenmachen vs. analytischem Sehen), muss man sich, glaube ich, aber entscheiden. Man kann nicht beides gleichzeitig machen.
The moments were constantly marked by the screen frame, camera perspective, pixelation and faltering image. Doing the whole thing live would probably lead to a very different result. Changing the camera position would also change something about the translations.
I was now strongly struck by the light - that partly led to the colored parts and the shadows -: could we create consciousness around the light? Like we already do with space and with each other? In a way, the light already makes the thing so full, creates such tensions and energy like spatial distances, that you can perhaps tap into it.
My work now was just as described above quite lustful-dancing - you could, if you also like, make the whole thing more analytical. Then I would work more with the fineliner and analyze and think more in a verbal way. Between these two big directions (bodily-afflicted trace-making vs. analytical seeing), though, I think you have to decide. You can't do both at the same time.
Text: Philip Wiehagen